Die Meninghexe

Die Meninghexe

Eines Tages musste die junge Magd vom Pulverer im Gnadenwald nach Fritzens zum Einkaufe gehen   Es begann schon zu dunkeln, als sie sich vom Krämer auf den Heimweg machte. Die Krämerin beschwor die junge Frau ja nicht durch das Farbental zu gehen, denn dort im Hohlweg oberhalb des Farbentalerhofes lauere der Pulvererhund, ein großer schwarzer Pudel, der den nächtlichen Wanderern große Angst machte. Das war nämlich der verstorbene Pulvermüller, der zu Lebzeiten gar arg mit seinem Gesinde umgegangen war. Die junge Frau aber hatte keine Angst vor dem Pulvererhund. 

Als sie beim Farbentalerhof vorbeiging, stand noch der alte Knecht in der Stalltür. Auch er riet ihr vom Weitergehen ab. Die junge Frau aber ließ sich nicht beirren und setzte ihren Weg fort.  

Der Knecht vom Farbentalerhof war neugierig und wollte sehen, wie es der jungen Frau mit dem Pulvererhund erginge. Darum folgte er ihr über die Wiese bis zum Waldrand. Als er den schwarzen Hund sah, blieb er vor Entsetzen wie angewurzelt stehen und konnte keinen Laut hervorbringen. Wie die junge Frau sogar auf das geifernde Tier zuging und die Hand nach ihm ausstreckte, packte den Knecht das nackte Grausen. Endlich, als der Hund verschwunden war, konnte sich der Knecht wieder bewegen und lief, wie von Furien verfolgt, zurück zum Farbentalerhof.

Bald sprach sich im Dorf herum, wie die junge Wirtschafterin vom Pulverer mit dem Untier umgegangen war. Die Leute begegneten ihr von da ab mit Scheu und wichen ihr nach Möglichkeit aus. Es dauerte nicht lange, so hieß es, sie sei eine Hexe und verfüge über geheime Kräfte. 

Die Jahre gingen ins Land. Junges Leben kehrte in der Pulvermühle ein, und eines Tages starb der Pulverer. Für die Wirtschäfterin war nun kein Platz mehr in der Mühle. Weil sie aber so viel für den Pulverer getan hatte, durfte sie, so hieß es, bis an ihr Ende in dem Häuschen im Meningfeld, das dem Pulverer gehörte bleiben. Dort lebte sie zurückgezogen. Die Leute im Dorf mieden den Umgang mit ihr, da sie über Zauberkräfte verfüge und man sich vor ihr fürchtete. Ihr Name „Kasten Gerl“ (Gerl ist eine in Vergessenheit geratene Abkürzung für Gertrud) wurde bald vergessen. Sie hieß nur noch die Meninghexe.

Zu der Zeit hatte Fritzens noch keine eigene Kirche und keinen eigenen Pfarrer. Sonntags gingen die Fritzner daher nach Baumkirchen zur Hl Messe. Gerl, die im Dorfe nicht gerne gesehen war, besuchte jedoch den Sonntagsgottesdienst in Terfens, wo sie im Pfarrer einen Vertrauten gefunden hatte.

Weil es sich damals für Frauen nicht gehörte, den Pfarrer öfters im Pfarrhof aufzusuchen, ging sie jeden Sonntag zur Beichte. Der Pfarrer nahm Anteil an ihrem Los und hatte stets ein offenes Ohr für ihre Anliegen. Die Mesnerin aber war tratschsüchtig und neugierig. Sie wollte unbedingt wissen, was die Gerl Sonntag für Sonntag zu beichten hatte. Darum zog sie sich eines Sonntags, als der Pfarrer verhindert war, und ein4e Aushilfe den Gottesdienst feierte, des Pfarrers Talar und Chorrock an, legte die Stola um, setzte sich in den Beichtstuhl und wartete auf die Kasten Gerl. Die kam auch pünktlich wie an jedem Sonntag, beugte das Knie vor dem Altar, bekreuzigte sich - wenn das Hexen tun, ist das ein untrügliches Zeichen, dass sie mit dem Teufel im Bunde sind - und kniete sich in den Beichtstuhl. Die Mesnerin konnte es schon gar nicht mehr erwarten, der Gerl die Beichte abzunehmen und flüsterte mit verstellter Stimme die Segensworte, wie es sonst der Pfarrer tat. Gerl erkannte die Mesnerin in sparte nicht mit deutlichen Worten darüber, was sie von ihr und ihrem Charakter halte. Tief beschämt und mit hochrotem Kopf verließ diese eilends den Beichtstuhl und flüchtete in die Sakristei, hoffend, dass sie von niemandem erkannt worden war.

Natürlich konnte die Mesnerin die Schmach nicht auf sich sitzen lassen und verbreitete im ganzen Dorf, dass die Kasten Gerl nicht ihre Sünden, sondern die der Fritzner beichte. Sie wisse das aus sicherer Quelle.

Es ist verständlich, dass sich die Kasten Gerl noch mehr zurückzog und sich immer mehr der Mythos, sie sei eine Zauberin und Hexe, verbreitete.

Bald nach diesem Vorfall in Terfens wurde das Meninghäusl ans Georg Mair verkauft. Der wollte die Meninghexe, wie Gerl nun allgemein hieß, los sein. Selber getraue er sich nicht zu ihr, um sie aus dem Haus zu weisen. So ging er zum Kandlerbauern Abfalter, der Vorsteher (Bürgermeister) von Fritzens war und ersuchte ihn, der Kasten Gerl die Nachricht zu überbringen. 

Zur damaligen Zeit obdachlos zu sein bedeutete, dass man „nachten gehen“ musste. Das hieß, an jedem Tag hatte ein anderer Bauer für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen. Übernachtet wurde meist im Stall in der Streu und den Napf mit der „Bettelsuppe“ bekam man in einer dunklen Ecke in der Küche. Dafür musste man sich noch mit tausend „Vergelts Gott“ für die Güte bedanken. Nur ganz selten gab es für den „Nachter“ einen Platz am Dienstbotentisch und ein Bett in der Knechtekammer.

Als nun der Vorsteher zur Gerl kam und ihr die Botschaft überbrachte, dass sie aus dem Häuschen ausziehen müsse, überkam sie unsäglicher Zorn und Gram darüber, wie ihr die Mitmenschen, denen sie nie etwas zu Leide getan hatte, mitspielten. Sie lief auf das Feld, wo gerade der Flachs in Blüte stand, riss ein Büschel Halme aus und rief: „So viel Haar (Flachs) ich da hab’, so viele Witwen soll es auf den Höfen geben!“ Dann rannte sie, ohne sich umzusehen, den Aurain hinunter und wurde nie mehr gesehen. 

Georg Mair hatte kein Glück mit dem Häuschen. Es stand fürderhin leer und verfiel bald. Heute wachsen auf den Resten des Gemäuers Holderstauden und Heckenrosen, in deren Zweigen Vögel nisten. Setzt man sich an den Wiesenrain und ist ganz still, so kann es passieren, dass man das silberhelle Lachen der jungen Frau hört, die dem Pulverer so viel Glück gebracht hat und die so viel Undank erfahren musste. 



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04.08.2021