Der Pulvererhund

Farbentalerhof

Vor langer Zeit, als die Pulvermühle in St. Martin im Gnadenwald noch in Betrieb war, lebte dort ein Pulvermüller. Er war griesgrämig und grob mit seinen Knechten, ließ sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend bei nur karger Kost arbeiten und enthielt ihnen oft den hart verdienten Lohn vor.

Bald, nachdem er gestorben war, spukte ein schwarzer Pudel im Hohlweg oberhalb des Farbentalerhofes. Er war groß wie ein Kalb und hatte Augen wie glühende Kohlen. Niemand getraute sich mehr nachts den Weg durch das Farbental zur Pulvermühle zu gehen, denn der Hund gebärdete sich gar wild und machte den nächtlichen Wanderern große Angst. 

Selbst die Knechte des Pulvermüllers, die vor nichts und niemandem Angst hatten, fürchteten sich vor dem Hund. Wenn sie sich nämlich samstags nach Feierabend länger beim Bierwirt in Fritzens - dort wo heute der Hubertushof steht - verhockt hatten und dann nach Mitternacht den Heimweg antraten, versperrte ihnen der schwarze Hund mit wildem Gekläff und Geknurre und funkelnden Augen den Weg. 

Als einmal einer der Knechte mit seiner Kugelbüchse auf den Hund schoss, ging die Kugel glatt durch ihn durch und schlug im Baum dahinter ein faustgroßes Loch.

Seither getrauten sich diese wilden Gesellen nicht mehr nach Mitternacht durch das Farbental nach Hause zu gehen. 

Nun begab es sich, dass eines Tages eine junge Frau beim Pulverer um Arbeit fragte. Sie war sehr zierlich und hübsch anzusehen. Ihre Augen strahlten wie Aquamarine, ihr Mund glich einer Tulpe und ihr Haar fiel in braunen Locken auf ihre Schultern. Ihre Füße aber waren so klein, dass der Schuster eigens für sie Leisten bestellen musste.

Der Pulvermüller fand Gefallen an ihr und nahm sie in den Dienst. 

Mit ihrem Einstand war ein guter Geist in die Pulvermühle eingezogen. Alles schien heller und freundlicher, und selbst die mürrischen Pulverknechte, die nicht ungern dem Branntwein zusprachen, ließen ihre groben Späße, die sie oft mit dem Gesinde trieben.

Eines Tages, es war Spätherbst, musste die junge Frau nach Fritzens hinuntergehen, um verschiedene Besorgungen zu machen. Es begann schon zu dunkeln, als sie sich vom Krämer, der dort war, wo heute das M-Preis-Geschäft steht, auf den Heimweg machte. Die Hausernbäuerin, die die Krämerei führte, beschwor die junge Frau, ja nicht den Weg durch das Farbental zu nehmen, denn dort lauere der Pulvererhund und der werde ihr arg zusetzen. Es wäre viel besser, sie nähme den Umweg über die Pfuneraste und St. Michael in Kauf, komme aber sicher und wohlbehalten beim Pulverer an.

Die junge Frau aber hatte keine Angst vor dem Pulvererhund. Sie wusste, dass ihr nichts geschehen werde. Schnellen Schrittes ging sie in die aufziehende Dunkelheit hinein. Als sie das Farbentalerstückl hinaufstieg, war es schon pechschwarze Nacht. Den Himmel ahnte sie nur als hellen Streifen über den Baumwipfeln. Beim Farbentalerhof stand der alte Knecht noch in der Stalltüre, als er Schritte kommen hörte. Auf ihren freundlichen Gruß hin erkannte er die junge Frau an der unverwechselbar sanften Stimme. Auch er riet ihr eindringlich ab, weiterzugehen, denn gerade in so finsteren Neumondnächten treibe es der Pulvererhund besonders arg.

Die junge Frau aber ließ sich nicht beirren, wünschte dem Knecht eine gute Nacht und schritt munter vorwärts.

Kaum hatte sie den Hohlweg oberhalb des Farbentalerhofes erreicht, versperrte ihr den Pulvererhund mit funkelnden Augen und wildem Geknurr den Weg. Bedrohlich fletschte er die hellgrünen Zähne, die im dunkelrot glühenden Rachen gefährlich schimmerten. Sein tiefes Knurren ging in ein heiseres Bellen über, als die junge Frau keine Furcht zeigte und weiterging. Als sie schon fast bei ihm war, schnappte er nach ihr, die Augen sprühten Feuer und von den Lefzen floss schwefelgelber Speichel. Die Frau aber streckte ihre Hand aus und fuhr dem Hund sanft über den Kopf. Da hielt der Hund inne, sein Geknurr ging in ein freudiges Japsen über, er schmiegte sich an sie und ließ sich den struppigen Kopf kraulen. Die wie Kohlen glühenden Augen erloschen langsam. Nach einiger Zeit trottete er ganz sanft und leise in den Wald hinein und wurde seit diesem Tag nie mehr gesehen.

So hatte die junge Frau durch ihre sanfte Hand die Seele des alten Pulverers erlöst.


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08.12.2021